Handelsblatt:
Die US-Justiz hat gegen Herrn Winterkorn Anklage erhoben. Muss nicht VW spätestens jetzt Herrn Winterkorn auf Schadensersatz verklagen?
Michael Hendricks:
Die Anzeichen verdichten sich. Die Anklage gegen Herrn Winterkorn ist jedenfalls ein weiteres ernst zu nehmendes Anzeichen dafür, dass Ansprüche gegen die ehemaligen Vorstände bestehen.
Handelsblatt:
Der VW-Aufsichtsrat prüft schon seit zwei Jahren mögliche Ansprüche, kommt aber zu keinem Abschluss. Was läuft da schief?
Michael Hendricks:
Der VW-Aufsichtsrat befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits spricht inzwischen einiges für eine Inanspruchnahme früherer Vorstände, andererseits würde er so den klagenden Aktionären Argumente für deren Klagen liefern. Wenn er den Vorständen vorwirft, am Betrug beteiligt gewesen zu sein oder nicht rechtzeitig darüber informiert zu haben, können sich die Aktionäre bestätigt fühlen. Das wäre kontraproduktiv, es geht schließlich um viele Milliarden Euro.
Handelsblatt:
Wie ist ein solcher Konflikt zu lösen?
Michael Hendricks:
Meiner Meinung nach sollte das neue VW-Management Tabula rasa machen, sonst schleppt VW den Diesel-Skandal noch viele Jahre mit sich herum. Konkret heißt das: Nur wenn sich der VW-Konzern konsequent von Personen trennt und sich mit den Klägern vergleicht, kann er befreit von Altlasten wieder in die Zukunft blicken. Das mag schmerzhaft und teuer sein, wäre aber ein Befreiungsschlag. Dazu gehört auch, verantwortliche Vorstände in Anspruch zu nehmen. Es ist an der Zeit.
Handelsblatt:
Was macht den Fall VW so besonders?
Michael Hendricks
Der Managerhaftungsfall ist sicher einer der größten, den wir in Deutschland je hatten. Sollte sich Herr Winterkorn tatsächlich strafbar gemacht haben, wird die D&O-Versicherung insoweit nicht zahlen. Die Versicherung kann in solchen Fällen das ausgezahlte Geld anteilsmäßig von Vorsatztätern zurückholen. Es ist gut möglich, dass Herr Winterkorn mit einem Großteil seines Privatvermögens wird haften müssen.
Handelsblatt:
Was kommt auf die Versicherung zu?
Michael Hendricks:
Die Deckungssumme - in der Branche spricht man von 500 Millionen Euro - wird angesichts der Schadenshöhe voraussichtlich nicht ausreichen. Es ist absehbar, dass es einen Verteilungskampf zwischen den versicherten Managern geben wird. Das ist ein Novum in Deutschland. Selbst Experten tappen hier im Dunkeln. Die Versicherer müssten eine Verteilung anordnen, sodass auch der letzte Ankömmling im Haftungsverfahren noch etwas von der Versicherung hat. Und das ist hoch kompliziert.
Das Gespräch führte: Votsmeier, Volker
Quelle: Handelsblatt online, 04.05.2018
Titel: „Es ist gut möglich, dass Winterkorn mit seinem Privatvermögen haften muss“
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